Ausgesetzte Rassetauben –
tödliche Selektion und Gleichgültigkeit

DSC03537Wie ein Déjà-vu kam es uns vor, als kurz vor Ostern der Anruf einging, in Swisttal seien über 20 Rassetauben bei einem Pferdehalter gestrandet. Schon im letzten Jahr wurden nur 8 km entfernt an einer städtischen Kläranlage 8 ausgesetzte Usbekische Tauben gemeldet und eingefangen. Der jetzige „Finder“ hatte bereits, ähnlich wie bei einem weiteren Fall 2014, an verschiedenen Stellen nach Hilfe gesucht:

Ordnungsamt & Zuständiges Tierheim

Das Ordnungsamt fühlte sich nicht zuständig – obwohl klar geregelt ist, dass es für Fundtiere seiner Gemarkung verantwortlich ist. Es versprach auf nochmaliges Nachfragen des Finders lediglich, den Fall an das zuständige Veterinäramt weiterzuleiten.

Das zuständige Tierheim Mechernich sah sich überfordert, versprach sich umzuhören und hat das Hilfegesuch an den Deutschen Tierschutzbund weitergeleitet. Ohne eine Antwort zu erhalten. Jedoch kann für Tiere, die nicht auf das Überleben in der Natur ausgelegt sind, jeder Tag ohne Hilfe den Tod bedeuten.

Von beiden Stellen gab es nicht einen einzigen Tipp, wohin der Finder sich stattdessen hätte wenden können.

Züchter


Tipps von einem Züchter und ehemaligen Taubenhalter, die Tauben einzufangen und 10 km weiter auf einem Feld ‚rauszulassen – „die finden nicht wieder zurück“ – oder den Tieren einfach den Hals zu brechen, wurden glücklicherweise nicht in Betracht gezogen. Auch schaute keiner mal vorbei, um sich von den Tauben vor Ort ein Bild zu machen.

Schließlich landete der Hilferuf bei uns im Tierheim Bonn.

Wir sind als Tierheim für diesen Kreis nicht zuständig und auch die Kapazität der tierheimeigenen Voliere ist längst erschöpft. Aber dafür können die Tiere nichts und so beschlossen wir, tätig zu werden.

Eine engagierte Tierfreundin aus der Nähe fuhr an den Zufluchtsort der Tauben, um sich ein erstes Bild zu machen und das weitere Vorgehen mit der Taubenexpertin unseres Tierheims abzustimmen. Es war geplant, ein oder zwei – vielleicht die schwächsten – Tauben einzufangen, um den Zustand der Tiere durch eine entsprechende Untersuchung einschätzen und eventuell vorhandene Ringe ablesen zu können.

img_3761Doch statt der erhofften wenigen Tiere konnten auf einen Schlag 17 der insgesamt 24 Rassetauben eingefangen werden. Obgleich sie tagelang die Reste des Wildvogelfutters auf dem Nachbargrundstück gepickt hatten, waren sie so stark ausgehungert, dass sie sich förmlich übereinander stolpernd auf die Körner in dem Fangkäfig stürzten. Die Tauben, die von außen versuchten an das Futter zu gelangen, konnten mit einem Kescher oder der bloßen Hand aufgenommen werden.

img_3796Die verbliebenen 6 wurden nach und nach eingefangen. Später erfuhren wir, dass 2 Tauben die erste Nacht in Freiheit nicht überlebt haben. Sie verstarben an Entkräftung beim Finder. Eine weitere Taube hat ihre „Freiheit“ wohl mit dem Leben zahlen müssen. Von ursprünglich 26 Tauben konnten 23 gesichert werden.

Und während immer noch auf eine Reaktion vom Deutschen Tierschutzbund oder Veterinäramt gewartet wird, dürfen sich die eingefangenen Tiere nun erst einmal im Tierheim satt essen und sich wieder geborgen fühlen.

Die teilweise von den Tauben getragenen Ringe sind für uns leider nicht brauchbar. Sie sind über Kleinanzeigen zu erwerben und helfen nur dem Besitzer bei der Zuordnung der Tauben, eine Rückverfolgung aber ist nicht möglich.

Rassetauben sind Haustiere

Wir betonen an dieser Stelle nochmals ausdrücklich, dass auch Tauben HAUStiere sind, die so gut in der Freiheit überleben können, wie Hauskatzen, Hunde, Hamster, etc. – nämlich gar nicht!

Nur weil sie fliegen können und man automatisch an Stadttauben denkt, die in der Stadt ja auch von allem möglichen Unrat leben können (was ein großer Trugschluss ist, aber das ist ein anderes Thema), sind Rassetauben nicht automatisch mit diesen gleich zu setzen.

Ein Aussetzen solcher Tiere ist ebenso eine Straftat wie das Aussetzen eines Hundes oder einer Katze. Wir werden den Vorgang zur Anzeige bringen.

Wir wollten wetten, dass sich diverse Tierschutzvereine mit der Rettung überschlagen hätten, hätte man ihnen 24 ausgesetzte Katzen oder Hunde gemeldet. Ein riesiges Medieninteresse wäre ihnen sicher gewesen. Auch die Motivation des Ordnungsamtes wäre eine ganz andere gewesen.

Das Schicksal von Vögeln – Tauben in diesem Falle – aber findet weder Hilfe noch Interesse.

Tödliche Selektion

Wir vermuten aufgrund der Jahreszeit, dass die Tauben nach der neuen „Anpaarung“ des Züchters als „nicht mehr für die Zucht brauchbar“ ausgesondert wurden. Das ist leider gängige Praxis unter Züchtern. Statt diesen Tieren ein Gnadenbrot zu gewähren oder sie in verantwortungsvolle Hände abzugeben, werden sie meist getötet oder ausgesetzt ihrem Schicksal überlassen.

Jegliche „Entsorgung“ von „unbrauchbaren“ Tieren aus einer Zucht ist aus tierschützerischer Sicht weder tragbar noch ethisch vertretbar.

Da unsere Kapazitäten ebenfalls begrenzt sind, können wir die Tauben nur kurzfristig in einem Außengehege unterbringen. Wir müssen sie rasch auf verschiedene private Pflegestellen in NRW verteilen. Hier warten sie dann auf ihren Umzug in ein endgültiges Zuhause, wo sie für immer willkommen sind.

Dank

An dieser Stelle bedanken wir uns ganz herzlich bei dem engagierten Finder, dem das Schicksal der Tauben nicht egal war, sowie den Pflegestellen und Endplätzen!

Sabine Brunelli
Taubenexpertin, Beirätin Vögel